Übersprudelnde Freude

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Die Einladungen, die auf meinem Schreibtisch landen, sind nicht immer so vergnüglich, wie sie Otto Normaltrinker sich vorstellt. Zum Großteil aller Dinner-Events, Vernissagen oder Präsentationen kann ich den Kollegen Oberschelp zitieren: Man erträgt sie, wie man Schnupfen im Winter oder Fehlpässe im Mittelfeld erträgt. Einen kleinen Teil genieße ich, ein ganz kleiner Teil wendet sich bei geringen Erwartungen zu einem informativen Spaß. Und dann gibt es noch die Einladungen des Champagnerhauses Krug, von dem ich kürzlich schon geschwärmt hatte.
Die jüngste, vor gut zwei Wochen, war als „Eskapade“ angekündigt, der Shuttle führte zu einem abgeschiedenen Seestück am Starnberger See, wo sich ein Teehaus am Ufer bei Bernried findet. Dort wurde der Jahrgang 1996 entkorkt. Aktuell der jüngste, Krug lässt sich Zeit. Mindestens elf Jahre, wenn überhaupt ein Jahrgang für Vintage-würdig befunden wird.

Ich hatte das Glück, neben Stefan Weiß am Tisch zu sitzen. Weiß ist der entdeckungslustige, zugleich undogmatische Chefeinkäufer für Weine bei Dallmayr. „Wenn Du einmal Krug getrunken hast, kommst Du nicht mehr davon los“, sagt er und mir geht es genauso. Krug ist der einzige Champagner, bei dem ich keine Sättigung kenne, kein Gefühl, dass man jetzt genug Gläser intus hat und langsam ein Bier braucht.

Beim Besuch 2004 in Reims ging ich mit Rémi Krug, Spross der zweitjüngsten Generation des Hauses, abends essen. Wir saßen im „Les Crayeres“, einem Gobelin-verhängten Guide Michelin-Andachtsraum und tranken den 1988er (bis heute mein Favorit) und den 1990er. Nachdem Rémi wunderbare Anekdoten von Helmut Schmidt-Bestellungen für Giscard-d’Estaing-Empfänge zum Besten gegeben, tranken texanische Gäste im Rausgehen unsere Gläser mit Krug-Resten leer. Das „Les Crayeres“ war ein Jahr zuvor in „Travel & Leisure“ zum besten Hotel der Welt gewählt worden.

Bei Krug denke ich an Freiburg – wegen der für mich hochsentimentalen Begebenheit, dass ich auf dem Heimflug von Paris nach München aus wolkenlosen 10.000 Metern meine Heimatstadt entdeckt habe (man erkennt sie an der Rheinnähe und vor allem an der endlosen Reihung von Sportstätten, die mit dem Strandbad abschließt, kein Witz). Und dass wir zur Geburt von Philipp im Mai dieses Jahres einen Vintage 1995 geleert haben.

Vom 1996er behalte ich in Erinnerung, dass er vielfältiger ist als der säurebetonte, etwas mineralische und recht mutige 1995er. Weiß sagt, dass er in gewisser Hinsicht wieder zum Barock früherer Grande Cuvées zurückgeht. Ein opulenter Traum.

Nur leider wird dieser Traum schon jetzt zum Spekulationsobjekt, seit feststeht, dass er bei Parkers Wein-Inquisitoren 99 von 100 Punkten gekriegt hat. Das Haus Dallmayr bietet ihn Online bereits nicht mehr an, um Leerkäufe aus fernen Ländern auszuschließen. Wer eine Flasche sieht, sollte zugreifen.

Wer keine mehr bekommt, dem sei die stets gelungene Grande Cuvée (kein Jahrgang, sondern eine „Assemblage“, die unterschiedliche Jahrgangsstärken vereint) ans Herz gelegt. Zu den Champagnern, die am Strand von St. Tropez unnütz verspritzt werden, hält Krug die feine Antithese bereit – er steht neben ihnen wie ein schöner alter Porsche neben einer Stretchlimousine.

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2 Gedanken zu “Übersprudelnde Freude

  1. Lieber Rudi,

    ich bin mir recht sicher, das Schampus von Krug hervorragend zu meinen panierten Schnitzeln passen würde, über deren Zubereitung ich jüngst feinsinnig geschrieben habe.

    Muss ich mir mal nen Karton von holen 🙂

  2. ich find ja Manfred Krug auch ganz toll. Aber der ist ja so lange zum Brunnen gegangen, bis er reingefallen ist (auf deutsch: er ging so lange zum Brunnen, bis er reinfiel. Aber das ist ein anderes Thema…)

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